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BRD- und DDR-Entwicklungspersonal in Tansania und ihre tansanischen „Counterparts“, 1970-1990. Interaktionen und Transfers im Kontext der Systemkonkurrenz (Arbeitstitel)

Eric Burton

Die Geschichte der Entwicklungsarbeit ist Teil einer verflochtenen und gemeinsamen Globalgeschichte, die nicht in Gebende und Nehmende, Subjekte und Objekte von Transfers aufgeteilt werden kann. Das Forschungsprojekt richtet den Blick auf Kontakte, Begegnungsräume und Transfers zwischen Entwicklungspersonal der drei „Welten“ in der „Ära der Entwicklung“. Es konzentriert sich auf Handlungen von Akteuren nicht nur der „Geberseite“, sondern insbesondere auch jener der „Empfängerseite und will so zwei Forschungslücken der Literatur an schließen: die Geschichte der deutschen Experten und Expertinnen „vor Ort“ sowie  die Interaktionen mit den einheimischen Counterparts.

Tansania, BRD, DDR – Komplementäre Entwicklungsmodelle?

Ausgangspunkt sind die Entwicklungsbemühungen Tansanias in der Epoche des „Ujamaa“-Sozialismus. Dieses Modell des Afrikanischen Sozialismus galt in westlichen Ländern zeitweilig als beispielhafter Versuch einer selbstverantwortlichen Entwicklung, es unterschied sich auch beträchtlich von den staatssozialistischen Systemen der sowjetischen Welt. Ein Kernziel der tansanischen Entwicklungspolitik war das Erreichen der personellen Unabhängigkeit, d.h. das Ersetzen der Fachkräfte aus Übersee durch Tansanierinnen und Tansanier. Zu diesem Zweck wurden junge Menschen u.a. in die BRD und die DDR geschickt, um als kompetente, die Entwicklung ihres Landes vorantreibende Kräfte zurückzukehren. Gleichzeitig waren Akteure beider deutscher Staaten beteiligt am Aufbau von Bildungsinstitutionen, der Umsetzung von Planungen und Entwicklungsprojekten sowie dort, wo es an qualifizierten Fachkräften mangelte.

Die „technische Hilfe“ bzw. die "wissenschaftlich-technische" und „kulturell-wissenschaftliche“ Zusammenarbeit“ der beiden deutschen Staaten für Tansania, das zwischenzeitlich ein Schwerpunktland des entwicklungspolitischen Engagements beider deutscher Staaten und durchgängig ein bevorzugtes Empfängerland für technische Hilfe unterschiedlicher Provenienz war, wird anhand ihrer Praktiker untersucht.

Erfahrungen, Interaktionen und Konflikte vor Ort in den beiden deutschen Staaten und Tansania

Die Bearbeitung des Themas geschieht durch die Verortung in konkreten Erfahrungen von Angehörigen dreier Gruppen: tansanischer Studierender in BRD und DDR, deutsches Experten- und Freiwilligenpersonal sowie deren Counterparts und Vertretern der tansanischen Entwicklungsbürokratie. Folgende Fragen sind leitend: Wie fanden die Interaktionen im Entwicklungssektor zwischen Akteuren aus DDR, BRD und Tansania statt? Welche materiellen und nicht-materiellen Ressourcen – Kapitalarten im Sinne Pierre Bourdieus – konnten sich deutsche Entsandte und die tansanischen Counterparts aneignen, welche blieben ihnen versagt oder unattraktiv? Welches Kapital wurde im Laufe der Expertenkarriere genutzt, welches war nicht konvertierbar? Welche Spannungen und Konflikte traten zwischen personalen wie institutionellen Akteuren auf und welche Lösungsstrategien lassen sich erkennen? Wie beeinflussten die konkurrierenden Entwicklungskonzepte und ideologischen Vorgaben die Praxis der Entwicklungsarbeit? Diese Fragen sollen anhand der „internationalen“ und tansanischen Experten abgehandelt werden, die an Tansanias Projekt eines Afrikanischen Sozialismus teilgenommen haben.

Rekonstruktion von Handlungsfeldern

Ziel der qualitativen Auswertung ist keine Evaluierung der Entwicklungspraktiken, sondern eine historische Analyse von Handlungsfeldern. Fallstudien sind u.a. geplant für tansanische Studierende in den beiden deutschen Staaten sowie Einsatzfelder deutscher Entsandter, u.a. an der Universität Dar es Salaam und in Entwicklungsprojekten der Tanga-Region. Neben vorhandenen Archivmaterialien in Deutschland und Tansania stellen lebensgeschichtlich angelegte Experteninterviews die Haupterkenntnisquelle dar.

Die Forschung in Tansania wird mit freundlicher Unterstützung des Geschichtsinstituts der Universität Dar es Salaam durchgeführt.

Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte

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